Montag, 26. September 2011

Berlin zum Träumen

Berlin-Marathon - einfach nur ein Traum
Ich begebe mich gezielt an diesem frühen Sonntag-Morgen an den Start, mit mir tummeln sich noch Zehntausende andere Läufer und alle sind sie kribbelig. Ich versuche, mich kurz einzulaufen und dehne anschließend meine Muskeln und Sehnen. Der Zeiger der Uhr scheint sich heute extrem langsam zu bewegen, aber endlich ist es soweit, der Lauf wird gestartet. Schön ruhig und gleichmäßig laufen, ja nicht zu schnell angehen..
Und da geschieht es, ich werde derb von hinten gerempelt und knalle auf den Asphalt. Da ich jedoch sturzerprobt bin, gelingt es mir, mich einigermaßen sauber abzurollen und ich bleibe wohl von Verletzungen verschont. So im Aufrappeln erhasche ich noch einen Blick auf einen Läufer, der sich hämisch grinsend nach mir umdreht und dann im Gewühl verschwindet. Ok, eine Rempelei kann bei den Massen schon mal passieren, aber dann entschuldigt man sich ja wohl wenigstens, oder. Gerade kann ich noch seine Startnummer erkennen, es ist die 13. Na Klasse, bloß gut, dass ich nicht abergläubisch bin. Und wieso ist dieser Kerl eigentlich hier hinten, mit der Startnummer muss es doch ein Spitzenläufer sein?? Wahrscheinlich hat der verpennt und versucht nun, nach vorn aufzuschließen.
Ist mir aber offen gesagt völlig egal, was er ist, mit mir nicht, mein Herr. In mir kocht die Wut und ich nehme extrem angefressen die Verfolgung auf. Natürlich kann ich mit dem nicht mithalten, also muss ich ihn möglichst früh stellen und ähnlich wie früher bei den Trickfilmen mit Hase und Wolf denke ich so bei mir: Nu Sajetz, nu pagadi!!!!
Mein Glück und sein Pech ist, dass er ziemlich groß ist und pechschwarze Haare hat, so kann ich ihn ziemlich gut ausmachen und hetzte immer Slalom laufend hinter ihm her. Vorbei an der Goldelse geht die Hatz, durchs Brandenburger Tor auf den Pariser Platz, ich habe ihn immer fest im Visier, der muss sich bei mir entschuldigen, dieser Schnösel. Jetzt bloß nicht nachdenken, ich bin viel zu schnell angegangen, ich laufe weit über meine Verhältnisse, das wird sich noch rächen, aber das ist mir völlig egal, ich will diesen Knallkopp zur Rede stellen, falls ich noch ein Wort rausbekomme.
Wieso sind meine Leute eigentlich nicht an der Strecke, schon der dritte Kontrollpunkt, an dem keiner steht? Ach ja, ich liege ja weit vor der Zeit, die ausgemacht war. Wenn das so weiter geht, dann werden sie mich wohl bald mit Blaulicht zum Ziel fahren oder schlimmstenfalls in der schwarzen Taxe, lange halte ich das Tempo nicht mehr durch. Nein, es hat keinen Zweck mehr, das war eben der Halbmarathon und ich bin so schnell, dass ich noch nicht mal die Zeit erkenne, die Beine wollen einfach nicht mehr, es ist aus. Da dreht sich dieser Mensch doch noch einmal nach mir um, wieder dieses fiese Grinsen auf der Fisage, aber wohl auch ein wenig Angst. Und dieses Grinsen wirkt auf mich wie eine Injektion mit Dopingmitteln, ich fühle mich wie kurz nach dem Zähneputzen, ich bekomme die zweite Luft und jage weiter hinter diesem Rempler her.
Es sind immer weniger Läufer, die ich vor mir habe. Ich muss nicht mehr so viel ausweichen und komme jetzt viel besser voran. Eins muss der Neid meinem Freund ja lassen, laufen kann der. Neben mir fährt plötzlich jemand auf dem Fahrrad und ich bekomme endlich mal was zu trinken, bisher sind mir diese Plastebecher immer gleich runtergefallen. Das Wetter meint es gut mit mir, der Himmel bewölkt sich zusehends und es beginnt ein leichter Nieselregen, das ist mein Wetter.
Wie jetzt, war das eben die Marke mit 35 Kilometern? Und wo zum Kuckuck ist mein Hase, den ich mal eben fix zur Rede stellen wollte, ich sehe ihn nicht mehr, kann das sein, ich bin doch so schnell. Fix am Straßenrand zwei Bananen organisiert und das Tempo ein wenig forciert, eigentlich bin ich ja schon klinisch tot, aber diese Wut wirkt Wunder. Da vorn laufen vier Männer, aber da ist er auch nicht dabei. Mein Gott, jetzt ist es wohl aus, mir wird schwarz vor Augen. Aber nein, es sind vier Schwarz-Afrikaner. Spielerisch schließe ich zu ihnen auf, grüße höflich und frage sie in aller Form, ob sie nicht einen großen, schwarzhaarigen Läufer gesehen hätten. Ich blicke in ungläubige, schmerzverzerrte Gesichter, und bekomme keine ordentliche Antwort. Ich versuche es im lupenreinen Sächsisch, in hochdeutsch, in gestammeltem Englisch, mit russischen Brocken, nischt, die sagen einfach nichts.
Als ich so ein bis zwei Kilometer neben denen her gelaufen bin, wird mir das Ganze zu albern, mein Mann kann nur vor denen sein, also los. Ich verabschiede mich in aller Freundschaft und laufe etwas schneller, meine vier Freunde brechen in hemmungslose Traurigkeit aus, die müssen mich schnell sehr lieb gewonnen haben. Nein, das kann doch wohl nicht sein, dieser Kunde da vorne auf dem Motorrad, mit dieser blöden Fernsehkamera, der nimmt mir absolut jede Sicht. Und wie ich auch laufe, ob links oder rechts, der lässt mich einfach nicht vorbei.
Die Menschen an der Strecke sind einfach unglaublich, die jubeln mir zu wie verrückt, das war in Hamburg bei meinem ersten Marathon noch nicht der Fall. Ich glaube, ich breche gleich zusammen, aber ich laufe so dicht an den Zuschauern lang, dass mir immer wieder einer auf die Schultern haut, und jeder Schlag bringt mich weiter nach vorn.
Komisch, denke ich noch so bei mir, das sieht doch glatt aus, wie der Kurfürstendamm, da müsste doch bald das Ziel sein. Wenn ich mich nicht täusche, könnte doch eine neue Bestzeit bei dieser Rennerei rausspringen, aber was zum Teufel ist das? Links und rechts stehen Zuschauer und in der Mitte ist die Straße gesperrt, was soll ich denn jetzt machen? Ich will stehen bleiben und nach dem Weg fragen, aber die Beine gehorchen einfach nicht mehr, die laufen einfach immer weiter. Und so renne ich halt genau in die Absperrung rein, die glücklicherweise nachgibt und sich sanft um meine Hüften schlingt. Da sehe ich auch eine Uhr, die 2:05 anzeigt, so kann man sich täuschen, also Essig mit Bestzeit. Es ist schon 5 Minuten nach 2, 9.00 Uhr bin ich losgerannt, also habe ich mehr als 5 Stunden gebraucht, die Zeit ist wie im Fluge vergangen, Wahnsinn.
Plötzlich stülpt mir einer ein Netz oder so was über, Mikrophone strecken sich mir entgegen und auf mich wird pausenlos eingeredet. Ich höre nur immer wieder die gleichen Wortfetzen, die wie Streckenrekord oder Weltrekord klingen. Sollte das am Ende die Zeit gewesen sein und nicht die Uhrzeit, völlig unmöglich?? Ich habe mindestens 5 Minuten bis zum Start gebraucht, also wäre ich unter 2 Stunden gerannt????
Und da geschieht es, im Überschwang der Gefühle dreht sich die ganze Welt um mich herum. Wildfremde Menschen nehmen mich auf ihre Schultern und lassen mich immer wieder hoch leben. Mit Mühe kann ich die beiden Bananen im Magen festhalten und werde endlich auf eine Liege gelegt, wo sich sofort 3 liebreizende Damen meiner annehmen. Sie kneten meine müden Knochen herrlich angenehm durch und ich entschlummere ganz sanft.
Plötzlich werde ich an der Schulter gerüttelt. Ist ja schon gut, ich komme ja zur Siegerehrung und Pressekonferenz, muss bloß erst mal die Augen aufbekommen.
Als ich meine Äuglein endlich aufschlage, da steht meine liebe Frau vor mir, rüttelt sanft an meiner Schulter und sagt mir, dass der Marathon in 2 Stunden anfängt und ich jetzt besser aufstehen sollte. Alles nur geträumt, so ein Mist, dabei war doch alles so schön.....
Aber selbst der Traum ist schon 10 Jahre alt...

1 Kommentar:

Stemi hat gesagt…

Dann schicke mir bitte am nächsten Sonntag auch so einen Typen. Muss ja nicht gleich WR werden...
Du kannst schon tolle Träume haben - klasse.